Hinter den Krüppelweiden
Der Einstieg ist ein heiteres Bild mit Buntstift gemalt, ein wenig an Idyllen des 19. Jahrhunderts erinnernd, die zarte Frühlingslandschaft mit jungem Baum. Doch dann folgt sie schon, die Ernüchterung in Form einer Erklärung zum Buch in ockerbrauner Typografie: Die Autorin und Malerin besucht verschiedene Heime der Schweiz, in denen bis weit in die 1990er Jahre Schweizer Kinder fremdplatziert, vulgo „verwahrt“ wurden. Bis 1978 war das noch eine fast willkürliche Angelegenheit, ohne Rücksicht auf besondere Umstände, oft zwangsweise angeordnet. Jahrelang, bis zum 20. Lebensjahr, standen die Kinder unter strenger Aufsicht, mussten arbeiten, beten oder/und Strafen erdulden. Simone Stolz hält deren Alltag in grau-weißen Zeichnungen fest, eindrückliche Sequenzen, manchmal Panels, Details abwechselnd mit feingliedrigen Landschaftszeichnungen, die Heime inmitten schattiger Bergmassive oder einsamer Weiten zeigen. Und dann doch wieder plötzlich bunt und unbeschwert. Stolz hat ein kunstvolles Zeugnis geschaffen und ein Skizzenbuch, Graphic Novel und Dokumentation von Resilienz und Verzweiflung in einem. (Christine Paxmann)